Montag, 30. Mai 2016

Tag 1064 - An der Zeit

Ich bin nicht ausgerastet als ich die Krebsdiagnose bekommen habe.

Ich bin ruhig geblieben und hab meinen Arsch und mich nach ein paar Wochen wieder durch das Leben bewegt als wäre nichts Großartiges geschehen.
Ich bin kein Held, die Begleiterscheinungen und Gegebenheiten haben einfach gepasst.

Es war jedoch immer die Befürchtung da, dass eine Kleinigkeit ausreicht und ich fahre mit
Vollgas irgendwo dagegen, ich schmeiße meinen Job oder ich fange eine Affäre an.
Das meiste würde ich natürlich nicht umsetzen, aber von der Drastik her passt es.

Irgendwie ist das Maß voll, ein dilettantisches Projekt zu viel, ein blöder Kommentar zu viel, ein Verlust zu viel...
Vielleicht ist es an der Zeit für etwas drastisches.

Dienstag, 24. Mai 2016

Tag 1058 - Umgehen

Mein Chef fragt mich: "Alles in Ordnung, Helga?"

Hm, ich weiß nicht. Vor wenigen Wochen ist Perdita gestorben, da geh ich gerade nicht unbedingt vor Glück über.
Aber das antworte ich natürlich nicht. Also mache ich nur vage Aussagen und ziehe weiter, setze mich in mein Büro und bin froh, dass der Berufsanfänger neben mir ein ruhiger Zeitgenosse ist.

Wie geht man mit dem Tod um?
Diese Frage stelle ich mir seit Wochen immer wieder.
Als ich zur Trauerfeier anreise, stehe ich am Flughafen in der Schlange zur Sicherheitskontrolle und wär am liebsten wieder umgedreht. "Ich will nicht" geht es permanent in meinem Kopf, bei der Kontrolle bin ich so verpeilt, dass ich mit den Sicherheitsleuten englisch spreche.

In Perditas großer Stadt gelandet, mache ich eine Abschiedstour. Aber im Grunde bedeutet mir dieser Ort nichts.
Nachmittags findet die Trauerfeier in einer Gaststätte in der Nähe ihres Wohnorts statt. Die Französin war auch diesmal so nett, mich aufzunehmen.
Im Lokal werden Bilder von Perdita gezeigt, ihre Lieblingsmusik wird gespielt und ich treffe viele ihrer Freunde wieder und lerne weitere kennen.
Als der Schweizer seine Trauerrede hält, habe ich das Bedürfnis, meinen Kopf auf den Tisch zu legen und "lalalalala" zu singen. Alles nur, damit ich nicht hören und sehen muss, wie ihr Arzt, der ein Schrank von Mann ist, beinahe selbst weint.

Am nächsten Tag fahre ich nach Hause, ich sitze mehrere Stunden im Zug und habe Zeit nachzudenken. Schräg gegenüber sitzt eine indische Familie, die ein lustiges Englisch miteinander spricht, ich beobachte sie eine Weile und amüsiere mich über ihre Kinder.
Trauer kommt nur in Flashs, in Wellen. Also nochmal die Frage: Wie geht man mit dem Tod um?
Ich weiß es nicht. Da uns einige hunderte Kilometer getrennt haben, bemerke ich ihre Abwesenheit nicht direkt.
Es kommen keine Blogeinträge und auch keine Nachrichten per WhatsApp.
Es ist für mich so, als wäre sie nur verreist.

Dass Omas sterben ist klar, dass Eltern einen verlassen, ist auch eine Realität, der man irgendwann ins Auge blicken muss.
Dass Menschen in ihren Vierzigern sterben, ist etwas ungewöhnlicher.
Perdita hat sehr oft die Kurve gerissen, mehrmals war es schon knapp. Ich wusste zwar von Anfang an, dass diese Geschichte nicht gut ausgehen kann, hab den Gedanken aber so gut es ging verdrängt.
Wenn man im Krebskarussell mitfährt, ist der Tod allgegenwärtig. Arschloch Krebs (danke, Frau Doktor) ist unbarmherzig.
Aber doch nicht bei meiner Freundin!

Ich will nicht glauben, dass es keine Nachrichten mehr geben wird.
Ich kann mir nicht eingestehen, dass sie für immer weg ist.

Die Wahrheit ist, dass ich nicht mit ihrem Tod umgehen kann.

Montag, 23. Mai 2016

Tag 1057 - Arschknapp

Es ist gerade noch einmal gut gegangen

So muss ich mich die nächsten Jahre im Ausland nicht als Schweizer ausgeben.

Montag, 9. Mai 2016

Tag 1043 - Trost

Die (meine) Mama fragt, wie es mir geht.
Leser, die kondolieren.

Soll ich euch etwas verraten?
Ich bin manchmal furchtbar traurig.
Aber genauso denke ich: Gut gemacht, meine Liebe. Nun brauchst du keine Angst mehr haben und auch keine Schmerzen mehr. Du brauchst nicht mehr Panik haben zu ersticken, keine Luft mehr zu bekommen.

Es ist schmerzvoll, nichts mehr von ihr zu sehen, zu lesen, zu hören. Ich habe eine Nachricht von ihr auf der Mailbox und bringe es nicht übers Herz sie anzuhören.


Aber eines gibt mir Trost: Sie muss sich nicht mehr quälen.

Donnerstag, 5. Mai 2016

Tag 1039 - Donna

Manchmal mittendrin, manchmal Randfigur.
So sieht sie das Leben - Donna....
Zuweilen leidet sie daran.
Meistens mag sie es ganz gern.

Montag, 2. Mai 2016

Tag 1036 - Abschied von Perdita

Am Samstag wollten wir eigentlich Pizza essen gehen.
Da Herr Hase aber einen seiner Leisure Sickness-Anfälle hatte, sind wir zu Hause geblieben und wollten einen ruhigen Fernsehabend machen.
Es war mir ganz recht, den Tag über hab ich minütlich aufs Handy geschaut.
Perdita ging es sehr schlecht, es war klar, dass sie nicht mehr lange bei uns sein würde.
Schließlich kam die Todesnachricht.

Obwohl ich es gewusst, schließlich auch herbeigesehnt hatte, hat mich die Nachricht ihres Ablebens umgehauen.

Als sie in mein Leben trat, war ich selbst noch in einer sehr unsicheren Phase.
Die Behandlung noch nicht hinter mir, kahl und voller Angst, in dieser Zeit hat sie mir ihren ersten Kommentar hinterlassen.
Ich hatte mich bis zu diesem Zeitpunkt nicht getraut, Blogs von anderen Brustkrebs-Betroffenen zu lesen, zu groß war das Grauen, wie es kommen könnte.
Ich wollte hoffen und nicht wissen, was mir noch alles widerfahren kann.

Perditas Wesen, ihr Sprachgefühl hat mich wohl seit dem Zeitpunkt, als sie auf meinem Blog aufgetaucht ist, fasziniert.
Scheinbar nicht nur mich.
Sie hat mir viel geholfen, sie wusste, wie es mir vor Untersuchungen und Kontrollen geht, mit welchen Dämonen ich zu kämpfen habe, welche Ängste ich habe. Ich habe hier in Ö natürlich auch BK-Patientinnen kennen gelernt, aber wie so oft keinen Draht zu jemandem gefunden.
Sie war mein Krebsbuddy.

Als Perdita dann mit der Schweizerin in Wien war, haben wir uns das erste Mal gesehen, es folgten meine Besuche in Deutschland. Wir haben uns oft geschrieben, viele Gemeinsamkeiten festgestellt und schließlich auch unsere Unterschiede entdeckt.
Ich bin stolz, dass sie mich als Freundin akzeptiert hat.
Freundschaft zu schließen ist in unserem Alter auch keine Angelegenheit mehr, die häufig vorkommt.

Ich ertappe mich selbst in der Nacht als ich dafür bete, dass sie keine Angst und keine Schmerzen haben musste.
Aber es ist nur ein Mantra um mich zu beruhigen, an den Gott meiner Kindheit habe ich wohl nie geglaubt. Mein eigener Krebs hat mich zum Atheisten gemacht.

Ich werde sie vermissen. Mir werden ihre Blogeinträge fehlen. Ich werde die Freundin, die zwar in der Ferne war, aber mir trotzdem so nah, furchtbar vermissen.
Ich bin dankbar für unsere gemeinsame Zeit, auch wenn sie viel zu kurz war.



Wie es hier weitergeht? Ich habe keine Ahnung.