Dienstag, 24. Mai 2016

Tag 1058 - Umgehen

Mein Chef fragt mich: "Alles in Ordnung, Helga?"

Hm, ich weiß nicht. Vor wenigen Wochen ist Perdita gestorben, da geh ich gerade nicht unbedingt vor Glück über.
Aber das antworte ich natürlich nicht. Also mache ich nur vage Aussagen und ziehe weiter, setze mich in mein Büro und bin froh, dass der Berufsanfänger neben mir ein ruhiger Zeitgenosse ist.

Wie geht man mit dem Tod um?
Diese Frage stelle ich mir seit Wochen immer wieder.
Als ich zur Trauerfeier anreise, stehe ich am Flughafen in der Schlange zur Sicherheitskontrolle und wär am liebsten wieder umgedreht. "Ich will nicht" geht es permanent in meinem Kopf, bei der Kontrolle bin ich so verpeilt, dass ich mit den Sicherheitsleuten englisch spreche.

In Perditas großer Stadt gelandet, mache ich eine Abschiedstour. Aber im Grunde bedeutet mir dieser Ort nichts.
Nachmittags findet die Trauerfeier in einer Gaststätte in der Nähe ihres Wohnorts statt. Die Französin war auch diesmal so nett, mich aufzunehmen.
Im Lokal werden Bilder von Perdita gezeigt, ihre Lieblingsmusik wird gespielt und ich treffe viele ihrer Freunde wieder und lerne weitere kennen.
Als der Schweizer seine Trauerrede hält, habe ich das Bedürfnis, meinen Kopf auf den Tisch zu legen und "lalalalala" zu singen. Alles nur, damit ich nicht hören und sehen muss, wie ihr Arzt, der ein Schrank von Mann ist, beinahe selbst weint.

Am nächsten Tag fahre ich nach Hause, ich sitze mehrere Stunden im Zug und habe Zeit nachzudenken. Schräg gegenüber sitzt eine indische Familie, die ein lustiges Englisch miteinander spricht, ich beobachte sie eine Weile und amüsiere mich über ihre Kinder.
Trauer kommt nur in Flashs, in Wellen. Also nochmal die Frage: Wie geht man mit dem Tod um?
Ich weiß es nicht. Da uns einige hunderte Kilometer getrennt haben, bemerke ich ihre Abwesenheit nicht direkt.
Es kommen keine Blogeinträge und auch keine Nachrichten per WhatsApp.
Es ist für mich so, als wäre sie nur verreist.

Dass Omas sterben ist klar, dass Eltern einen verlassen, ist auch eine Realität, der man irgendwann ins Auge blicken muss.
Dass Menschen in ihren Vierzigern sterben, ist etwas ungewöhnlicher.
Perdita hat sehr oft die Kurve gerissen, mehrmals war es schon knapp. Ich wusste zwar von Anfang an, dass diese Geschichte nicht gut ausgehen kann, hab den Gedanken aber so gut es ging verdrängt.
Wenn man im Krebskarussell mitfährt, ist der Tod allgegenwärtig. Arschloch Krebs (danke, Frau Doktor) ist unbarmherzig.
Aber doch nicht bei meiner Freundin!

Ich will nicht glauben, dass es keine Nachrichten mehr geben wird.
Ich kann mir nicht eingestehen, dass sie für immer weg ist.

Die Wahrheit ist, dass ich nicht mit ihrem Tod umgehen kann.

2 Kommentare:

  1. Wie soll man damit auch umgehen? Geht nicht. Geht einfach nicht. Es gibt Dinge, die machen einen fassungslos. Weil man es nicht fassen kann. Unfassbar. Alles so Worte. Die stimmen ja auch. Ich kann sie auch nicht mit Leben füllen. Geht nicht.
    Traurige Grüße aus einem total verregneten Neanderthal, passte zur Stimmung.

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    1. Ich kann noch immer schwer darüber reden, weil ich, so wie du schreibst, fassungslos bin.
      Perdita ist nicht mehr - was soll denn das?

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