Mittwoch, 11. März 2015

Tag 618 - Wortlos

Das Ergebnis des Gentests hat mich in der Tat wortlos, sprachlos gemacht.
Als ich heute meinen behandelnden Arzt sehe, sagt er: "Das war absehbar, aber die Bestätigung ist auf jeden Fall gut."

Ich bin selbst über meine Reaktion verwundert. Eigentlich, ja eigentlich müsste ich doch vor Freude singen und tanzen, oder?
Aber die frohe Kunde erreicht mich nicht wirklich.
Stattdessen kommen so Gedanken wie "Und was mach ich jetzt aus meinem Leben?" - also eher Orientierungslosigkeit als überschwängliche Lebensfreude.
Beim Termin vor gut 2 Wochen war auch wieder die Psychoonkologin dabei, ich denke, sie und der Genetiker waren etwas erstaunt über  meine Nichtreaktion, sie hat das dann so ausgedrückt: "Ich denke, das ist jetzt ein guter Abschluss für Sie, das hat jetzt alles lange genug gedauert."

Was mir der Gentest nun gebracht hat? Die Erkenntnis, dass ich meinen Brustkrebs als Pech abstempeln kann. Als einmaliges Pech hoffentlich.
Und jetzt? Blog schließen, Krebs vergessen, normal leben?
Was ist denn normal leben?

De facto komm ich vom Krebsbehandlungs-Hamsterrad ins normalen Alltag-Hamsterrad. Hat was gutes, etwas sehr gutes, das Leben ist viel einfacher mit (weniger) Angst.
Aber die Entwarnung des Ergebnisses macht mich eben auch etwas ratlos.

Heute war ich zur kleinen Kontrolle, also nur zum Abtasten im Krankenhaus. Im Wartezimmer merke ich, wie die Angst kommt und damit auch die Genervtheit.
Ich beobachte sehr kritisch die gegenüber sitzende Trash-Frau, scharre mit den Stiefeln, bin ungeduldig.
Drinnen im Untersuchungszimmer spreche ich mit meinem Arzt, aber es ist wie durch einen Nebel.
Alles ist gut, der Port wird in ein paar Wochen entfernt, eine Überweisung zur Blutabnahme leiere ich ihm noch raus.
Dann schneide ich kurz noch eine eventuelle Brust-Reparatur an. Er meint, dass die meisten Frauen nach einer brusterhaltenden OP gar keine Angleichung mehr machen lassen.
Seit wann bin ich die meisten Frauen?

Aber wir haben vereinbart, wir warten, das Gewebe arbeitet noch, die Brust verändert sich noch.
Sie haben mir ein Viertel meiner Brust weggeschnitten. So gesehen ist das jetzige Ergebnis wunderwunderschön. Aber ich wäre nicht ich, wenn ich nicht darüber nachdenken würde.

Nach der Blutabnahme steh ich auf der Straße und warte auf die Bim. Ich halte meinen Regenschirm in der Hand, es nieselt, und ich habe mal wieder den Wunsch, den Schirm gegen die nächste Mauer zu dreschen. Nein, am liebsten würde ich die Bäume ausreißen und sie umherwerfen.
Die Straßenbahn in eine Hand nehmen und durch die Straße schleudern.
Damit es draußen so aussieht wie in mir drinnen.


Ja, ich weiß, Jammern auf sehr hohem Niveau.


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