Mittwoch, 30. April 2014

Tag 303 - Klärungen

Gestern war ich wieder im Krankenhaus, diesmal um meine Psychologin zu treffen.
Die Erlebnisse bei den Herceptingaben haben mich so verstört, dass ich mit ihr darüber reden wollte.

Da der Abbruch der Therapie keine Option ist, musste das Ganze geklärt werden. 
Der Ablauf der Therapien im Februar und zuletzt im April haben nochmal gezeigt, wie sehr mir die Art und Weise der Behandlung meine Selbstbestimmung stört und mir die Kontrolle über mein Leben nimmt, ich mich ohnmächtig und nicht wahr - bzw. ernstgenommen fühle. Die von mir so empfundene Mentalität "friss oder stirb" stößt mir extrem auf. Beende ich die Therapie vorzeitig, [weil ich mit dem Ablauf nicht zurecht komme,]steigt das Wiedererkrankungsrisiko. Also muss ich fressen. 
Oder solange reden, bis es auch anders geht.
Obwohl ich meiner psychoonkologischen Betreuung vertraue und sie schätze, hab ich in der Nacht davor schlecht geschlafen.
Das Thema liegt mir im Magen.

Die Psychologin sagt, bei mir wäre die "Spitalsflucht" stark ausgeprägt und dass sich junge Frauen stärker gegen das verzopfte System und "in die Warteschleife hängen" wehren als ältere Damen.
Mit jeder weiteren Behandlung schwindet die Toleranz, die Unsinnigkeiten, die in dem Spitalsbetrieb auftreten, zu akzeptieren.
Sie meint auch, dass es mein gutes Recht ist gegen eine Behandlung aufzubegehren, die mir schadet.

Sie hat dann in der Onkologie angerufen und mein Kommen für Freitag avisiert, die Sekretärin weiß dort Bescheid, dass ich so schnell wie möglich drankomme.
Meine übliche Breast Nurse, habe ich bei dem Gespräch erfahren, ist in Krankenstand und wird wahrscheinlich auch nicht mehr in der gewohnten Form zurückkommen, das Wort „Burnout“ ist gefallen.
Ich möchte mit den Schwestern nicht tauschen wollen, aber ich bin mir sicher, sie mit mir auch nicht.

Kurz haben wir auch die Bestrahlung und die damit verbundenen Ängste thematisiert. 
Ich hab immer wieder das Bild im Kopf, im Auto zu sitzen und gegen die Wand zu fahren. Immer und immer wieder. Gang rein, gegen die Wand fahren, immer und immer wieder.
Es schreit und tobt dann in mir, wie bei einem kleines Kind, warum ich, warum nur ich?
Ich war kein böser Mensch, warum hab ich Krebs bekommen, warum nur?
Es ist eine Mischung aus Wut und Verzweiflung. Die Psychologin sagt, man spürt die Wut in mir.
Was soll das? Nicht nur, dass ich mindestens ein Jahr verschissen habe, nein, auch mein weiteres Leben wird dadurch beeinflusst, gestört und möglicherweise verkürzt.

Krebs ist nix, was man einfach abhaken kann unter dem Punkt „been there done that“, nein, es hilft nichts, zu sagen, du bist jung, leb dein Leben.
Ja, ich bin jetzt ausgeglichener als vor dem Krebs, weil mir mehr Sachen als vorher einfach wurscht sind, weil ich mir jetzt noch leichter tue, das durchzusetzen, was ich will.
Nur, war’s das wert? Hätt ich nicht weiter mit meinem alten Ich und ohne Krebs weiter leben können, besser leben können?
Diese Ungerechtigkeit wird mich mein Leben lang immer wieder wurmen.

Natürlich ist es auch gut, dass ich mich jetzt noch weiter abgrenzen kann. Natürlich ist es gut, dass ich nicht mehr nach Eventualitäten lebe, nicht alles doppelt und dreifach checke, sondern einfach mache.
Aber den Preis dafür will ich nicht zahlen. Den Krebs dafür hab ich nicht gebraucht.
Scheiß Wut.
Scheiß Krebs.

Tief durchatmen.
Und tatsächlich geht’s mir jetzt besser. Ich hab durch das unbequem sein und Nachbohren meine Selbststimmung ein Stückchen wiedererlangt.
Ich hoffe, es ist geklärt.


Freitag wieder.

Mittwoch, 23. April 2014

Tag 296 - Plätschern

Das Leben plätschert vor sich hin.
Viel tut sich nicht.
Meine einzige Aufregung besteht momentan darin, dass sich mein Arbeitgeber und die Krankenkasse nicht einigen können, wann wer welche Bestätigung bekommt bzw. einfordert.
Ich warte dann auf die Bezahlung von Krankenstandstagen 2 Monate lang.

Es ist irgendwie erschreckend, wie schnell man wieder zur Normalität zurückkehrt.
Natürlich denke ich jeden Tag an den Krebs, auch daran, wie es mit mir weitergeht. Ob er wiederkommt und was ich dann mach.
Ich bin traurig, wenn ich auf anderen Blogs lese, dass jemand den Kampf verloren hat. Dann muss ich schlucken, mehr als einmal.

Auf der anderen Seite ist es aber auch schön, wie schnell ich wieder in mein normales Leben zurückgekommen bin. Arbeiten gehen, Freunde treffen, daheim rumkramen, den Frühling geniessen. Das funktioniert fast alles ohne Einschränkungen.

Ich bin müder als vor dem Krebs und die Haut und die Nägel leiden unter dem Herceptin, manchmal wird mir schwindelig. Viermal muss ich noch zur Infusion, danach ist die aktive Therapie vorbei. Das Krankenhaus werd ich mit Sicherheit nicht vermissen, nur zu den Nachsorgeuntersuchungen werde ich mich dort sehen lassen.

Ich überlege, doch auf Kur zu fahren. Zwei Rehas werden bei (m)einer Krebserkrankung bezahlt, noch muss ich es mit der Arbeit abklären, aber im Grunde steht mein Entschluss schon fest.
Ich will raus aus der Stadt, 3 Wochen weg von meiner Normalität.
Der Kurort ist nah genug um am Wochenende heimzufahren und mein Mann kann sich auch tageweise dazu gesellen. Vielleicht kann ich dort abschalten, wichtig wäre es.

Irgendwann werd ich auch den Port entfernen lassen, ich möchte ihn nicht behalten, nur weil in ein paar Jahren wieder was sein könnte. Nene, so will ich nicht leben.
Ich will davon ausgehen, dass der Krebs nicht mehr wiederkommt und deswegen muss der Port weg.
Sollte nochmal was sein, krieg ich halt einen neuen. Punkt.

Dann will ich auch meine linke Brust reparieren lassen, momentan sieht es nach einer verunglückten Ostblock-Brust-OP aus.
Der Mops schielt. Mein Mann und auch die beste Freundin sagen zwar, es fällt kaum auf, aber ich sehe es.
Mich stört es, also wird es reguliert.

Es plätschert vor sich hin. Ich find das gut, irgendwie.



Donnerstag, 17. April 2014

Tag 290 - Reaktionen

Gerade eben erreicht mich das Mail des Krankenhausträgers, an den ich meine Beschwerde wegen dem hier geschickt hab.
Die Geschichte wird an die ärztliche Direktion weitergeleitet, ich selbst habe mir einen Termin mit der psychoonkologischen Betreuung dort vereinbart, weil ich nicht damit zurechtkomme, meine Tage dort zu „verwarten“.
Nachdem ich das letzte Mal wieder eine neue Version gehört habe, wie oder besser gesagt wie Tagesklinikpatienten nicht behandelt werden, bin ich gespannt, was dabei rauskommen wird.
Fakt ist, mich macht das Email mehr traurig als sonst was.

Das Schreiben ist sehr nett formuliert, keine Frage.
Nur frag ich mich, warum das Ganze überhaupt notwendig ist.

Soll ich Verweildauern von 10 Stunden für eine verf*ckte Infusion einfach unter administrativen Overkill verbuchen?
Soll ich mich, sofern die reguläre Schwester nicht da ist, einfach so aufführen, dass sie froh sind, wenn sie mich wieder los sind und daher alles schnell(er) geht?
Ich bin’s echt leid.
Ich hat(te) Krebs, mit 33. Ich muss mich damit auseinandersetzen, dass meine Lebenserwartung möglicherweise nicht so toll ist.

Da seh ich nicht ein, dass mir irgendwas oder irgendwer Zeit stiehlt.

Mittwoch, 16. April 2014

Tag 289 - Behandlungen

Die Bestrahlung liegt nun hinter mir, am Freitag war die letzte, die RTs haben mir zum Abschied die Hand gereicht und gesagt, dass sie mich nie wieder sehen wollen, außer ich wolle sie besuchen.
In dem Fall keine Unhöflichkeit, sondern die besten Wünsche, die man sich vorstellen kann.
Dort hab ich mich nach der Eingewöhnungsphase sehr wohl gefühlt und das Institut auch schon einer Mitpatientin empfohlen.

Danach bin ich weiter zu der Herceptin-Therapie.
Fassen wir uns kurz: Ich glaube, ein ruhiger, zurückhaltender und zumeist höflicher Mensch zu sein.
Dort musste ich schon vor dem Mittagessen die Ellbogen ausfahren.

Im Endeffekt konnte ich gegen 16 Uhr das Krankenhaus verlassen, einige Turnusärzte werden mich wohl so schnell nicht vergessen.
Dabei hatte ich diesmal nette Gesellschaft, 2 Frauen mitten in der Therapie, nur etwas älter als ich.
Eine davon kannte ich schon vom letzten Mal, sie hatte ihre zweite Chemo, die andere hatte vor Jahren den Tumor in der linken, nun in der rechten Brust.
Ich war froh, mich austauschen zu können und selbst Tipps geben zu können.
Die Krankheit verbindet, leider, aber auch glücklicherweise.
Sonst fühl ich mich oft alleine mit dem Krebs, hier trifft "geteiltes Leid ist halbes Leid" zu und erleichtert es, zumindest kurz.

Allmählich wird mein Leben wieder "normal".
Ich arbeite wieder Vollzeit, was erschreckend tagesfüllend ist.

Letzte Woche bin ich auf die Waage gestiegen, ich bin zwar nicht rückwärts runtergefallen vor lauter Schreck, aber 4 Kilo Zunahme sind natürlich nicht schön. Da ich durch die Therapie auch Wasser einlagere, wurde mir ein Entwässerungsmittel verschrieben, das auch gut wirkt.
In den nächsten Wochen werde ich bei meinem Sportverein vorstellig werden und wieder mit den Kursen anfangen.
Dann irgendwann wieder beginnen Auto zu fahren. Seit der Diagnose habe ich mich nicht mehr hinter's Steuer gesetzt, was in Wien auch nicht notwendig ist, aber es gibt mir im Falle des Falles mehr Freiheit.

Schließlich im Mai ein paar Tage mit Herrn Hase in Urlaub fahren.
Und immer mehr den Krebs hinter mir lassen.





Mittwoch, 9. April 2014

Tag 282 - Grauen

Im Morgengrauen zwitschern die Vögel wie verrückt und die Kater streifen in der Wohnung herum, da kommt in mir das Grauen der Urteilsverkündung Diagnose wieder hoch.
Im Kurzbericht der Brustambulanz steht "Diagnose im Beisein des Gatten mitgeteilt."

Der Arzt sagt: "Frau Nase, das ist Krebs. Sie sind eigentlich viel zu jung für so eine Diagnose."
Auch neun Monate danach muss ich schlucken, in meinem Kopf hör ich wieder die Schreie, die nie aus meinem Mund gekommen sind.
Aber es hält nicht lang an, das Grauen, und die paar Tränen blinzle ich weg.

Ob es Zufall ist, dass ich heute auf Krawall gebürstet bin?

Dienstag, 8. April 2014

Tag 281 - Dialog

Helga Nase, mittel genervt und leicht selbstmitleidig: "Es soll ja auch Menschen geben, die ein einfaches Leben haben."
Herr Nase: "Die erkennen ihr Elend bloß nicht."

Tja.

Sonntag, 6. April 2014

Tag 279 - Schade

Immer mehr verstehe ich Menschen, die nach ihrer Diagnose bzw. nach ihrer Krankheit nicht mehr in ihr altes Leben, in die bzw. zu den alten Bedingungen zurückkehren wollen.
Vielleicht habe ich gerade einen Hänger, aber: Ich will das mittlerweile auch nicht mehr.

Was soll ich sagen? Irgendwie ist mir grad die Arbeit gar nicht recht. Dort herrscht ziemliches Chaos, und ich frag mich, ob und wie ich mit diesem Zustand noch zurechtkommen will.
Mein Vertrag läuft noch bis Ende des Jahres, eine Verlängerung wurde mir seitens des Arbeitgebers als bereits fix zugesagt.
Jetzt sitz ich da und überleg mir, ob es überhaupt so weit kommen wird, kommen soll.
Ich hab den Eindruck, dass ich nun mehr zu den Menschen gehöre, die Struktur brauchen. Und die fehlt mir dort.
Zum selbst organisieren bin ich zu müde, zu faul.
Wobei mich auch das schlechte Gewissen drückt. Sie sorgen sich dort um mich, sie haben mir in der Krankheit die Stange gehalten, was heute nicht mehr selbstverständlich  ist.
Trotzdem bin ich geizig mit meiner (Lebens)Zeit geworden und Zeitverschwendungen kosten mich die Contenance.
Zu lange bin ich an meinem letzten Arbeitsplatz nur rumgesessen, was eine der lähmendsten Angelegenheiten in meinem Leben war, das will ich einfach nicht mehr.
Lieber Ex-Kollege, der hier laut Statistiktool mitliest: Ich hoffe, du kommst dort bald weg.

Vor einiger Zeit habe ich die Doku "Das Glück der Hausfrau" gesehen, beeindruckt hat mich die Bäuerin aus dem Odenwald.
Nach u.a. einer Krebserkrankung hat sie auf ihrem Hof vor allem eines gemacht: Alles entfernt, was Arbeit macht.
Damals dachte ich mir auch: "Alles weg, was unbequem ist", das Problem, die Herausforderung dabei ist, dass ich Unsicherheit, vor allem finanzielle, nicht ausstehen kann.
Die nächste Ernte könnte schon eine schlechte sein.

Nur bin ich mir mittlerweile zu schade für faule Kompromisse.

Ich konnte und wollte immer viel leisten. Oft auch, damit andere mich schätzen, meinen Wert sehen.
Ich hab das Gefühl, ich hab zu viel gemacht, von dem ich dachte, das es andere von mir erwarten.

Den Haushalt habe ich - bis auf's Einkaufen und Kochen - so gut wie alleine gewuppt. Gestern hab ich das Altglas zum Container runtergeschleppt und hab mir dabei gedacht, wie blöd ich doch bin.
Das Zeug war scheißschwer, das Gewebe links ist durch die Bestrahlung empfindlich, ich bin noch längst nicht wieder in Form und ich habe oben in der Wohnung einen großen und starken Mann.
Dem dann gesagt: "Ich schaff das alles nicht mehr und ich will es auch nicht mehr schaffen."

Ich bin mir einfach zu schade für doof in der Arbeit rumsitzen, alleine putzen, saugen, wischen, schleppen, waschen, aufhängen, bügeln, Sekretärin spielen, checken...
Wie es die Umwelt aufnimmt, wird sich zeigen.

Der Mann hat sich verständnisvoll gezeigt und den Geschirrspüler eingeräumt.